MYONET - Atlas Musculatur Orofacial System

Atlas Musculatur: Schluckakt

Erhard Thiele     25 Atlas Musculatur Gliederung       MYONET.Gesamtprogramm inhaltsübersicht     

I.3.5 Die Physiologie des Schluckaktes

 nach Rauber-Kopsch

 

”Im Schluckakt wird der im Mund vorbereitete Bissen durch Schlundenge, Schlund und Speiseröhre in den Magen befördert ... Der Schluckvorgang ist zwar willkürlich auslösbar, dann aber ein einheitlicher reflektorischer Vorgang, in den willkürlich nicht mehr eingegriffen werden kann. Aus didaktischen Gründen kann der Schluckakt in die (der Willkür unterstehende) Vorbereitungsphase, in den im Mund-Schlund-Bereich rasch ablaufenden eigentlichen Schluckvorgang und in die Transportphase der Speise durch den Oesophagus eingeteilt werden. In der Vorbereitungsphase wird, nach Zerkleinerung und Einspeichelung der Speise, der Mundboden willkürlich kontrahiert und der Bissen mit der Zunge gegen den weichen Gaumen gedrückt. Die hierbei entstehenden Erregungen von Rezeptoren der Gaumenschleimhaut lösen den eigentlichen Schluckvorgang aus. Im eigentlichen Schluckvorgang werden zwei rasch ablaufende Vorgänge aufeinander abgestimmt, die reflektorische Sicherung der Atemwege und der Transport des Bissens durch den Schlund; die Atemwege – Nase und Kehlkopf – sind beim Transport des Bissens gefährdet, da sich im Rachenraum Speiseweg und Atemweg kreuzen.

Die reflektorische Sicherung der Atemwege umfasst den Verschluss der Pars nasalis pharyngis und des Kehlkopfeingangs. Die Pars nasalis wird dadurch von der Pars oralis pharyngis abgeschlossen, dass durch die Mm. tensor und levator veli palatini das Gaumensegel angehoben und gespannt und gegen die hintere Pharynxwand gedrückt wird, die sich in dieser Höhe durch eine umschriebene Kontraktion des oberen Schlundschnürers und des – vor diesem vorbeiziehenden – M. palatopharyngeus wulstartig zum Passavantschen Ringwulst vorbuckelt. Bei Lähmung des Gaumensegels, z. B. nach Diphtherie, tritt Speise in die Nasenhöhle ein. Der Kehlkopfeingang wird durch zwei Mechanismen verschlossen, durch Anheben des Kehlkopfes und durch einen Fettkörpermechanismus. Der Kehlkopf wird dadurch angehoben, dass die Mm. mylohyoidei unter Beihilfe der Mm. digastrici und der Mm. thyrohyoidei das Zungenbein sichtbar und tastbar heben: damit wird der Kehlkopfeingang näher an den Kehldeckel gebracht und unter Beihilfe der Mm. aryepiglottici unvollständig verschlossen. Der Fettkörpermechanismus besteht darin, dass bei der Rückführung des Zungengrundes ein Fettkörper, der vor und neben dem Kehldeckel im Bindegewebe liegt, auf den Kehldeckel drückt und diesen dem Kehlkopfeingang nähert, wodurch der Kehlkopfeingang einen weiteren (unvollständigen) Verschluss erfährt. Zumeist treten für die Dauer des Schluckaktes auch reflektorischer Verschluss der Stimmritze und Atemstillstand ein. Durch willkürliche Störung der Mechanismen, die den oberen und den unteren Atemweg sichern (z.B. durch den Versuch, beim Schlucken zu sprechen), kommt es zum Verschlucken.

Der Transport des Bissens durch den Schlund wird gleichfalls durch mehrere Mechanismen sichergestellt. Die Zunge drängt wie ein Stempel, gezogen von den Mm. styloglossus und hyoglossus, den Bissen in die Schlundenge, wobei die Binnenmuskulatur der Zunge den Zungengrund gegen die Schlundenge wölbt. Die Muskeln der Schlundenge, die Mm. palatoglossi, transversus linguae und palatopharyngei, drücken reflektorisch einen Bissen von der Speise ab, die in die Schlundenge gehoben wird. Dieser wird in den Rachen geschoben. Der Rachen, dessen Lumen sonst einen quergestellten Spalt bildet, entfaltet sich beim Heben des Kehlkopfes nach vorn und oben. Der Bissen gleitet grossenteils durch den Recessus piriformis (hauptsächlich der Kauseite), z. T. auch über den Kehldeckel hinweg. Durch Verkürzung des unteren Schlundschnürers entsteht eine dorsale Ausbuchtung der hinteren Pharynxwand, die – durch Kontraktion der Mm. palatopharyngei angehoben – den Sack bildet, der den Bissen aufnimmt. Die Kontraktion der Schlundschnürer oberhalb des Bissens befördert diesen in die Speiseröhre. Die Transportphase durch den Oesophagus kann (z. B. bei Flüssigkeiten) allein durch eine ruckartige, kräftige Kontraktion des Mundbodens und des oberen Schlundschnürers bei aufrechter Körperhaltung als Spritzschluck ablaufen oder (bei festen Bissen) durch fortlaufende Kontraktionswellen, Peristaltik, des Oesophagus bewirkt werden.” [126, S. 291]

Während sich die obige Beschreibung auf den Weg der Nahrung vom hinteren Rand der Mundhöhle zum Magen bezieht, wollen wir hier noch den für die Muskelfunktionstherapie im Orofazialsystem so wichtigen Abschnitt vom rostralen Teil der Mundhöhle bis zu ihrem Hinterrand ergänzen. Diese Beschreibung hatte ich als Beitrag für Marvin Hanson geschrieben: Thiele,E. :The Action Chain of the Swallow Reflex: Activities and Assignments, Page 369 f.f. in: Hanson, Marvin, L. : Orofacial Myology international perspectives (2.Edition) by: Charles C. Thomas-Publishers Ltd., Springfield, Illinois 2003. 62704 ISBN 0-398-07359-7

Hier die Übertragung in die deutsche Sprache:

siehe eigene dateien/ book