MYONET - Atlas Musculatur Orofacial System

Atlas Musculatur: Physiologie VIII

Erhard Thiele    36 Atlas Musculatur Gliederung       MYONET.Gesamtprogramm inhaltsübersicht     

M.Rocabado hat sehr eindrucksvoll beschrieben, in welchem Winkel der Kopf optimal zur Wirbelsäule stehen soll. Als wir seinerzeit den Entschluss gefasst haben, auf zwei Beinen zu gehen, brachten wir den Kopf in eine ungewöhnliche, aber taktisch günstige Lage. Wir lassen ihn heute nur noch zu bestimmten Anlässen hängen (von diesen Redewendungen über die Kopfhaltung gibt es einige – sie lassen ahnen, dass diese auch noch eine besondere psychische Komponente haben), ansonsten befindet er sich oben auf der Wirbelsäule in einem physikalisch gesehen labilen (Un-)Gleichgewicht. Wir sollten uns zum Verständnis der Biomechanik ein Bild vom grundlegenden Aufbau von Wirbelsäule und Kopf machen. Die Physiologie der Kopf-zu-Wirbelsäulen-Beweglichkeit verlangt nicht nur Muskelaktionen wie Drehen, Nicken, Schütteln und Vor-, Rück-, Seitwärtsbewegung zum Halten des Gleichgewichtes, sondern auch solche als Defensivbewegungen oder zur Beobachtung der Umgebung sowie als zusätzliche Ausdrucksmittel und natürlich während des Sprechens und der Nahrungsaufnahme. Diese Aktionen erfordern einen hochspezialisierten Muskel-, aber auch Band- und Gelenkapparat.

J. W. Rohen schreibt, dass ausserdem alle zwischen Kopf und Hals verlaufenden Muskeln indirekt auch auf die kraniovertebralen Gelenke einwirken [136]. Daraus müssen wir für uns ableiten, dass Fehlreflexe in der Supra-hyoidmuskulatur (und natürlich auch Sub-) hier nicht ohne Folgesymptome bleiben. Die Gelenke liegen zwischen dem Hinterhaupt (Os occipitale) und den ersten beiden Halswirbeln, Atlas und Axis. Sie werden von einem starken Bandapparat gestützt. Aus der Rückenmuskulatur hat sich hier ein besonderer Muskelapparat spezialisiert.

Da wir bei unseren Patienten häufig unphysiologische Kopfhaltungen feststellen, sollte sich unser Augenmerk verstärkt auf dieses System richten (respektive, sollten wir das Augenmerk unserer Patienten darauf richten [Sensibilisation]). Nur so können wir die weiten Verzweigungen der orofazialen Störungen aus unserem Gebiet heraus erkennen, verfolgen und eventuell einer orthopädischen oder krankengymnastischen Behandlung zuführen. Mit letzterer habe ich in enger Zusammenarbeit hervorragende Unterstützung für meine Therapie erfahren. Zumindest können wir aber kontrollieren, inwieweit unter unserer Behandlung unphysiologisch veränderte Kopfhaltungen sich normalisieren und verspannte, schmerzhafte Muskulatur im Hals-, Schultergürtel- und Wirbelsäulenbereich zu physiologischem Tonus und physiologischer Haltung zurückfinden, wenn das auslösende Moment, die orofaziale Störung, sich normalisiert.