MYONET - Atlas Musculatur Orofacial System |
Atlas Musculatur: Fehlfunktionen III,1,2 |
Erhard Thiele 24 | Atlas Musculatur Gliederung | MYONET.Gesamtprogramm inhaltsübersicht |
1.3.4 Abhandlung muskulärer Fehlfunktionen
der Muskeln des Areals III
– Mundboden und Gaumensegel –
Mundbodenhypertension zwingt den Zungenkörper aufwärts-vorwärts in die Mundhöhle hinein oder gar weiter voran aus dieser hinaus (wie häufig bei ektovertierten Persönlichkeiten zu finde, aber auch bei Syndromen wie DOWN) und kann so auch eine zu große Zunge vortäuschen. Ohne Mundbodenmuskulatur sind kraftvolle Zungenbewegungen schwer vorstellbar, Hyperfunktionen der Zunge wohl nicht möglich. Würde man sich den Mundbodentonus fortdenken (Hypofunktion), so würde zwangsläufig die Muskulatur, die die Zunge mit ihrer Umgebung verbindet – die Aussenmuskulatur –, die Widerlagerfunktion mit übernehmen müssen, was einerseits unvollkommen wäre, andererseits zu muskulären Überlastungen führen müsste. Wir besprachen bereits an anderer Stelle, dass vom Organismus installierte Notprogramme, die im Falle einer Störung in einem Untersystem eine Gewährleistung des von diesem geforderten funktionellen Resultats seiner Aktion garantieren sollen die nicht gestörten Systemkomponenten überfordern, überlasten und auf Dauer schädigen. Im Falle eines Aktivitätsdefizites der Mundbodenmuskulatur wäre der gesamte Schluckvorgang erschwert, das Resultat wäre das Schlucken mittels Schwerkraft (Wie wir es etwa bei Patienten beobachten, die Schwierigkeiten mit der Einnahme von "Pillen" haben.) Eine Besonderheit sollte hier noch angesprochen werden: Der Unterdruck, der bei Ruhehaltung und Funktionen mit geschlossenem Mund in der Mundhöhle herrscht. Er wird durch Absenken des Mundbodens erzeugt, rostral durch den Lippendruck verschlossen und retral durch das Gaumensegel und die vielfältige obere Rachenmuskulatur - wie beschrieben - abgedichtet In einigen Fällen wird unter Stress ein zu starker Unterdruck geschaffen, der sich mit einer allgemein zentripetalen Kraft ungünstig auf die Hartsubstanzkapsel auswirkt (Kugelschalenmodell). Nur in einem Falle wäre ein starker Unterdruck physiologisch, und dies nur für kurze Momente, wenn im Rahmen der physiologischen Mundselbstreinigung die Zahnzwischenräume saubergesaugt werden. Ansonsten hat dieser Zustand schädigende Wirkung. Zu erkennen ist er an der Beschaffenheit der Weichteiloberfläche, wie etwa an der horizontal in der Vestibulumschleimhaut verlaufenden Leiste in Höhe der Okklusionsebene der Zahnreihen (siehe unten Bild 18071080110-01bis 03). Wie bei den zuvor besprochenen Weichteilimpressionen kann man auch hier auf Wangen und Lippeninnerem bei der entsprechenden Störung die Zahneindrücke ausmachen. Da der Luftdruckmechanismus nur funktioniert, wenn der Mundboden zum Rachen hin abgeschlossen ist, sei in diesem Zusammenhang in aller Kürze auf die Anatomie des Gaumensegels eingegangen. Das Gaumensegel besteht aus einem sehnig- muskulösen Lappen, der beidseitig von Schleimhaut überzogen ist. Er besitzt große Beweglichkeit. Median am Unterrand befindet sich das Zäpfchen mit Eigenmuskulatur. Zwei Muskeln verrichten die Arbeit der Segeleinstellung, der Tensor und der Levator, Spanner und Heber. Wahlweise können für entsprechende Funktionen Nasenrachenraum oder Mundhöhle durch das Segel dicht abgeschlossen werden (siehe Unterdruck) bei Nasenatmung, Essen, Trinken und bei der wichtigen Lautbildung (es sei an die Rhinophonie erinnert).
Nach unten geht die Gaumensegelmuskulatur in die zwei Gaumenbögen über, die das Segel abwärts ziehen und an den Zungengrund bringen. Hier sind von Bedeutung der M. palatohyoideus und M. palatoglossus.
Ein besonders Therapiegebiet bekommt in den letzten Jahren immer mehr Bedeutung, die neuromuskulären Atemwegstörungen wie Verschlucken, Schnarchen und Schlaf-Apnoe. Wie bei allen sensomotorischen Fehlregulationen ist es auch in diesem Falle schwierig zu bestimmen, ob die Störung ihren Schwerpunkt mehr im nervalen oder im muskulären Bereich hat. -- Die Therapieansätze sind mannigfaltig und reichen von medikamentöser Behandlung beispielsweise mit Sedativa über eine Apparatetherapie mit Atemmaske - quasi der Kombination von beiden durch Atemmaske und Sauerstoffzufuhr - und der Beeinflussung mittels Zahnbogenschienen. Allen diesen Methode kann eine Erfolgschance zugesprochen werden, die eher auf der mentalen Wirkung der Behandlung beruht. Genauere Untersuchungen sollten definieren, ob Gewebeveränderungen zu den geklagten Symptomen geführt haben. In solchen Fällen sind die angeführten Methoden untauglich und wohl eine operative Korrektur anzuraten. Wenn es sich bei den genannten Fällen um neurale beziehungsweise mentale oder Steuerungsprobleme handelt – die bei längerem Bestehen bekanntermassen muskuläre Veränderungen nach sich ziehen – sind ebenfalls alternative Therapiemethoden zu bevorzugen, in diesem Falle Training von sensomotorischen Störungen durch neuromuskuläre Übungen aus der Myofunktionellen Therapie, wie sie in Theorie und Praxis der MFT Bd 3, Myofunktionelle Therapie, Katalog der Übungen zur neuromotorischen Funktionsregulation im Kapitel „Mundrückraumübungen“,S.87 beschrieben sind.
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Abb. 18071080110-01 bis 05, gestörtes Innen-/Aussen-Gleichgewicht. Auf dem linken oberen Foto ist das Areal auf der Innenseite der Unterlippe weiss eingekreist, dessen Oberfläche zwischen den oberen und unteren Frontzähnen zu einer Quetschfalte von etwa 3 bis 4 cm Länge verformt worden ist. An der Wellenform des Grates lässt sich deutlich die Abformung der einzelnen Zähne erkennen. | |||
Die beiden unteren Bilder zeigen Modelle von Kiefern, links den interocclusiven Zustand, man erkennt am Neigungswinkel der oberen Incisivi die Kippung nach aussen, während die Unterkieferfront zurückgedrängt und der Zahnbogen kollabiert ist. Letzteres ist noch deutlicher zu erkennen am rechten unteren Bild in der Draufsicht. |
Nachdem wir die Zungen-, Mundboden- und Gaumenmuskulatur besprochen haben, soll nun der für unser Therapiegebiet so wichtige Schluckakt durch ein Zitat aus Rauber-Kopsch beschrieben werden.