Die „Aus-dem-Bauch-Methode“ lässt sich nicht
diskutieren, sie entzieht sich eher jeder Ratio und Diskussion.
Anders die Methode der strikten Planung.
Sollte man sich irgendwo verirren, so ist es von einigem Nutzen, wenn man
einen Plan aus der Tasche ziehen kann, seinen Standort bestimmen und einen
Ausweg festlegen. Das trifft ebenso zu für eine sorgsame Therapieplanung,
und es trifft eher nicht zu für die „modernen“ Konzepte. Heutzutage wird man
bezahlt für „erbrachte Leistungen“, nicht fürs Denken, welches nicht in
Behandlungszeit oder Positionen berechnet werden kann. (Aus diesen Worten
hört man die „alter Generation“ sprechen. Aber, nehmen wir einmal an, wir
würden tatsächlich unseren Behandlungsablauf vorausplanen. Dann gibt es
mehrere Punkte zu berücksichtigen.
?Kenntnis der physischen
Materie mit der man sich befasst, die Anatomie
?Kenntnis der normalen
Funktion, die Physiologie
?Bestimmung der Malfunktion
und ihres Grades, die Diagnostik
?Vermittlung dessen an den
Patienten, die Kommunikation.
?Herbeiführen der Einsicht in
die Notwendigkeit einer Therapie, die Compliance.
?Die Autorität zur Akzeptanz
von Instruktionen, die Kooperation.
Was muss eine solche Planung berücksichtigen?:
1. Die physische Materie
Anatomie
2. ihre normale Funktion Physiologie
3. Art und Grad der Fehlfunktion Diagnose
4. dies darlegen gegenüber Kommunikation
dem Patienten
5. seine Entscheidung zur
Zustandsänderung
Compliance
6. sein Wille, dem Therapeuten
zu
folgen
Kooperation
Das sind die Ansätze, die beachtet sein wollen, bevor
die eigentliche Therapie beginnen kann.
Punkt 1, die Anatomie ist reichlich unbeliebt.
Versuche ich aber, den Kontakt mit dieser Materie zu vermeiden, so kann
ich gleich den Kontakt mit dem Patienten meiden. Wie will ich das Geschehen
beurteilen, wenn ich nicht die Akteure hinter der Szene kenne?
Des Weiteren:
Es ist eine Therapieplanung erforderlich, ein zeitbezogener Ablaufplan.
Dazu müssen die Therapiemethoden in einen Zeitfluss gebracht werden. Diese
Methoden werden nicht nur vom Trainern für Hochleistungssportler angewandt,
wir finden sie ebenso gut beschrieben in der Fachliteratur über
Trainingsphilosophie oder in Therapieabläufen in der Krankengymnastik.
Der moderne Sportler kommt ohne diese Grundlagen nicht aus, was bedeutet:
Muskeltraining geht nicht ohne.
Vor Beginn der Arbeit an dieser Übungssammlung war also Einblick in diese
Fachliteratur zu nehmen.
Eine frühere Veröffentlichung im Journal der IAOM (Thiele,E.:
Timing In Myofunctional Training, The International Journal Of Orofacial Myology,
November
1996, Volume XXII Page 28-31) mit dem Vortrag von der
Tagung in St. Louis hatte auch dies zum Thema.
Zur Erinnerung:
Es stehen nicht nur spezielle Übungen für jeden Muskel und Anlass zur
Verfügung, sogar die einzelne Übung kann sozusagen verschiedene Facetten
aufweisen. Zum Beispiel:
Vollführt man eine Muskelkontraktion und hält diese, so ergibt das eine
Halte- oder statische Übung um zum Beispiel eine Haltung zu habitualisieren.
Führt man die Übung sanft aus, lässt sich der Tonus reduzieren um eine
Hypertonie zu behandeln, oder, das Gleiche mit viel Kraft zur Stärkung, in
Zeitlupe um die Aktion zu balancieren oder in raschem Wechsel hin und her,
für die Motilität. Dies sind die Grundmöglichkeiten.
Darüber hinaus gibt es bestimmte Möglichkeiten, die verschiedenen Modi
und / oder Übungen zu kombinieren. (Beschrieben in den Kapiteln über das
TIMING.)
All dies kann die einzelne Übung und die Trainingssitzung effizienter
werden lassen.
Das wiederum erfordert, dass man sich sehr genau damit auskennt, was es
für Übungen gibt und welchen Gehalt sie haben, um nicht den Erfolg dem
reinen Zufall zu überlassen, der klassischen ‚Aus-dem-Bauch’ Methode!
Ausserdem muss natürlich eine ausreichende Dokumentation und
gegebenenfalls die passende Co-Therapie so wie die erforderliche
Nachbehandlung durchgeführt werden.
Dies alles soll hier nicht detailliert abgehandelt
werden; zur Diskussion steht hier
-
die Hintergründe einer gestörten Funktion aufzudecken,
-
diese mit dem Hintergrund der normalen, gesunden, physiologischen
abzugleichen,
-
die Defekte zu erkennen,
-
ein Schema zur Wiederherstellung des korrekten, normalen,
physiologischen Hintergrundmusters zu konzipieren.
Dazu müssen drei Details der Hintergrundinformation
geistig verfügbar sein:
1. Die genetische Schlüsselfunktion des betreffenden
Organteils.
2. Die Anlage seines funktionellen Hintergrundes
3. Das komplette Repertoire unserer Methoden,
vornehmlich der Übungen.
Hierbei ist unerwähnt geblieben, dass selbstverständlich die normale
Funktion des betreffenden Systems bekannt sein muss. Sicherlich sind noch
viele andere Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Es ist reine Detektivarbeit,
die Störung zu entdecken, Habits des Patienten durch heimliches Beobachten
während der Eingangsunterhaltung auszuspähen und sozusagen nach
„Fingerabdrücken des Übeltäters“, auch am gesamten Körper zu suchen oder
sowohl präzise, als auch verborgene Fragen zu stellen.
Das bedeutet natürlich, dass wir zumeist mit der Variante „die Funktion
zeitigt die Form“ konfrontiert werden, oder besser, „Störungen in der
Funktion ergeben Störungen in der Form“.
Gemeinhin sollte man vielleicht denken, die dominante Struktur des
Körpers wäre jene, die dem Zerfall am meisten trotzt, die Hartgewebe. Man
würde sich den Körper als eine Art
Kleiderständer
vorstellen, wie man sie in Hotels findet, um die Kleidung darauf zu hängen.
Das wäre dann unser Skelett. Das darüber gezogene Weichgewebe würde sodann
die Figur vervollständigen. Wir wissen jedoch um die Schlüsselfunktion der
genetischen Entwicklung; hier zeigt sich ihre fundamentale Bedeutung.
Wie muss man die genetische Schlüsselrolle für die Muskulatur sehen?
Die genetischen Grundbedingungen.
Die Evolution
Es ist eine Grundbedingung zum Verständnis der
selbstregulierenden neuromuskulären Mechanismen (hier für unser
Therapiegebiet) sich zu vergegenwärtigen, wie sich Struktur und Funktion
dieser Region entwickelt haben.
Grundsätzlich starten wir mit einer Einzelzelle (siehe
Illustration), die an einen Wirtsorganismus angeheftet ist und wächst.
Das bedeutet, dass sich die Zelle vervielfacht und so ein multizelluläres
Konglomerat bildet, welches, wahrscheinlich durch Selektion, zu dem wurde,
was wir heute sind. Die meiste Zeit über bestanden wir nur aus Weichgewebe
und für eine ziemliche Zeit aus einem Muskelschlauch.
Was war der Grund für diese Entwicklung?
Nahrungsaufnahme, Essen!
Je länger die Nahrung in direkter Nachbarschaft zu den sekretierenden (secernierenden)
wie auch den absorbierenden Zellen der Körperoberfläche (zunächst der
äusseren im Entwicklungsverlauf später der inneren) verweilt, desto grösser
ist der Effekt. Je geschützter dieser Vorgang abläuft, desto besser ist das
Resultat.
Wenn ich die Überbleibsel direkt in den Strom der
aufgenommenen Nahrung hinein ausscheide wird die Substanz eher nicht
besonders frisch erscheinen. Konsequenter Weise schaffe ich also eine zweite
Öffnung in dem Beutel (der in dieser Gastrula-Phase meinen Körper darstellt)
für die Nahrungsaufnahme: Ich werde dann schnell lernen, dass, wenn ich mich
ab und an zusammenschnüre, dieser Prozess auf sehr günstige Weise zu
beschleunigen ist.
Das bringt mich dann dazu, dass ich Impulse der
Schnürbewegung meinen schlauchförmigen Körper entlang laufen lasse und zu
erkennen, dass ich nicht nur die Materie durch mein röhrenförmiges Inneres
presse, sondern gleichzeitig die ganze Röhre vorwärts, um an neues Material
zu gelangen
Die Peristaltik hat mir also schon ein wenig weitergeholfen, jedoch nicht
dazu geführt, dass neue Nahrungsquellen erschlossen wurden.
Die wabblige Röhre macht mich nicht gerade zu einem guten Geher, ganz zu
schweigen vom späteren Jäger und Carnivoren. Mittlerweile, wenn dann meine
ständigen Bemühungen dazu geführt haben, dass sich in meiner Muskulatur
längliche chondröse Veränderungen gebildet haben, und wenn ich mich dazu
entschlossen habe, diese auch zu benutzen, dann ist der Weg frei, um
vorwärts zu gelangen. Die Muskeln haben ihre eigenen Krücken erfunden und
werden ständig fortfahren, diese anzupassen. Eine kleine
Faustskizze
soll helfen, diesen Entwicklungsprozess zu erläutern.
Dem grünen Pfeil im Entwicklungsprozess folgend bekommt die einzelne Zelle
Besuch, verbindet sich und beginnt mit der Teilung – 1 – 2 – 4 – 8 – 16 –
über das Morula-Stadium, die „Murmel“, dann die Blase „Blastula“, folgend
die Einstülpung „Gastrula“, die Streckung und Schaffung einer zweiten
Öffnung neben dem Ur-Mund, später anschliessend das Amphioxus-Stadium, in
dem knorpelige Versteifungen den Körper zu stabilisieren beginnen.
Der Leitgedanke bei dieser Entwicklung scheint also zu sein, wie die
Zellen optimal zu ernähren sind, wenn ihr Konglomerat mehr und mehr an
Grösse zunimmt. Bei einem kleinen Zellhaufen kann sich bequem jede Zelle aus
der ihn umgebenden Lösung der Wirtsumgebung bedienen. In einem grössern
Haufen bekommen die innen liegenden Zellen nichts ab, daher bildet sich die
Hohlkugel. Ihre Zellen müssen ihre Nährstoffe aus der vorbeiströmenden
Matrix aufnehmen. Die folgende Invagination begünstigt einen
Digestionsprozess, da nun die Matrix nicht mehr vorbeiströmt und so auch die
von der Zelle abgegebenen Fermente besser wirken und eine Aufnahme der
Stoffe erleichtern können. Je tiefer die Invagination sich ausbildet, desto
gründlicher verläuft dieser Prozess. Nur, wie schon angedeutet,
Verdauungsrückstände und frische Nahrung durchmischen einander. Die Lösung
für dieses Problem ist dann das die Schaffung des Hohlrohres mit einer
zweiten Öffnung und einer Durchströmungsrichtung im Wurmstadium. Und von da
an ist es nicht mehr weit bis zu der uns so interessierenden Peristaltik
eines mit einer Muskelwand (primär) ausgestatteten Schlauches, die nicht nur
die Nahrung durch den Wurm, sondern bald auch diesen durch die Nahrung zu
befördern beginnt. Mit den erhöhten Ansprüchen an die Wahl des Umfeldes
bezüglich der Qualität der Nahrung muss dann die Beweglichkeit verbessert
werden, was zur Stabilisierung des Körpers zunächst durch Umwandlung von
Muskelfasern in Knorpelspangen (sekundär) führt, die später verknöchern in
Richtung Wirbeltier.
So viel über die Dominanz der Muskulatur über den Knochen und über die
Funktion, die die Form bestimmt.
Für unsere therapeutischen Fälle muss es dann wohl eher heissen:
„Funktionsstörungen zeitigen Formstörungen“.
Dieser Grundgedanke soll uns bei unserem diagnostischen Vorgehen leiten.
Meinen ersten Eindruck von meinem Patienten werde ich
gewinnen, wenn ich in sein Gesicht schaue. Wenn man jahrelang praktiziert
und seine Patienten durch die Jahrzehnte begleitet hat, bemerkt man den
nachhaltigen Einfluss, den die Muskeln auf die Gesichtsform haben, was nicht
nur für die Oberfläche gilt, seinen mimischen Ausdruck, es betrifft auch den
Knochen und Gesichtsschädel. Ein kontinuierlicher muskulärer Druck ohne den
entsprechenden antagonistischen Gegendruck wird unweigerlich den tragenden
Knochen in die Richtung der angreifenden Kraft verformen. Der Knochen liegt
praktisch wie der Zeiger einer Waage zwischen den antagonistischen Muskeln
und steht nur gerade, wenn die Kräfte sich ausgleichen (Bild).
Ich habe das sehr offensichtlich feststellen können bei zwei Arten von
Verhalten. Die Kieferwinkel bei jungen Menschen, die unter den Einfluss
eines sehr stressigen Berufs gerieten, als sie ins Arbeitsleben kamen bogen
sich auswärts und erzeugten so ein quadratisches Gesicht. Die gleiche
Situation in der Gegenrichtung; der gehemmte, introvertierte Charakter
verspannt häufig den äusseren
Muskelgürtel der
Mundhöhlenwand, das ist der Muskelverbund, der sich zusammensetzt aus dem Buccinator der einen Seite - dem Risorius – Orbicularis – Risorius und
Buccinator der anderen Seite.
Das ergibt dann den Effekt eines Zusammendrückens der Zahnbögen was schliesslich zu ihrem Kollaps führt. In früheren Veröffentlichungen habe ich
diesen Aufbau der Mundhöhle mit ihrer inneren und äusseren Muskulatur
verglichen mit dem Vorgehen bei der Rekonstruktion der Fragmente einer alten
Amphore, wo ein Spezialist die Teile zu ihrer früheren Form zusammenfügt,
indem er sie auf einer weichen Form zusammenleimt, die ähnlich ist mit einem
leicht aufgeblasenen Luftballon, auf den der Aussendruck ausgeübt wird durch
eine Gummifolie.
Dieses Beispiel soll den Einfluss der inneren und äusseren facialen
Muskulatur auf den Knochen veranschaulichen.
Es erinnert an den alten Spruch:“ Wenn Du nicht aufhörst Gesichter zu
schneiden, wird es eines Tages so stehen bleiben“. Oder: “Von einem gewissen
Alter an ist ein jeder für seine Physiognomie selbst verantwortlich“.
Was uns zu dem Schluss veranlasst, dass für die Muskulatur der Knochen wie
Wachs ist.
Wenn wir nun nach Hinweisen suchen, um ein neuromuskuläres Problem
aufzuspüren sollten wir nach weiteren Anzeichen forschen, die sich aus
unseren eigenen Beobachtungen ableiten oder aber aus den Resultaten von
Nachbardisziplinen;
Muskelläsionen, neurale Fehlfunktionen (das Multiple Movement Syndrome
etwa) oder angeborene Fehler. In diesem Zusammenhang sollten wir uns daran
erinnern, dass ein Fehler in einem neuromuskulären System eher dazu neigt,
sich zu wegen der zusätzliche und atypische Belastung zu
verschlimmern (Aggravierung). Sie entsteht durch die dauernde zusätzliche und atypische Belastung, die
auf dem System liegt, da es unter dem ständigen Zwang steht, den
lebenserhaltenden Effekt zu erzielen, für den es geschaffen ist ungeacht
seines gegenwärtigen Funktionierens in einem Notprogramm. Das gilt dann auch
für die Überforderung der Fähigkeiten der (bislang) nicht beeinträchtigten
Systemteile. Dieser Zustand wird es auf lange Sicht langsam aber stetig zerstören. Das
System ist nicht in der Lage, den Physiologischen Rahmen aufrecht zu
erhalten, der schliesslich zusammenbricht.
Bezüglich der Fehlersuche sollten wir uns wiederum eines Schemas
bedienen:
Wir wollen hier nicht im Detail über das „Scannen“ der
Orofacialmuskulatur durch die
Diagnostischen Übungen
diskutieren.
Diese sind wie gesagt verfügbar auf dieser Website. Nur so viel: Uns stehen
Übungen für jede Art Muskelfunktionstest zur Verfügung.
Nachdem man jeden einzelnen dieser Tests abgearbeitet hat (unter
Berücksichtigung aller Muskeln und/oder Funktionen auf unserem Gebiet)
ergibt sich ein ziemlich sicheres Bild über Lokalisation und Ausmass der
Dysfunction.
Diagnostische
Übungen so wie
Tonometer-Übungen
(zur Messung der Muskelstärke) finden sich auf dieser Website unter
dem jeweiligen oben genannten Link.
Inzwischen ist das Tonometer in die Jahre gekommen und, so fürchte ich,
überholt worden von einem elektronischen Gerät eines befreundeten Kollegen.
Obwohl, das Tonometer ist ein robustes Gerät, sogar in den Händen von
Kindern ( und unterewasser - wie auch immer es dorthin gelangen sollte). Wie auch immer, ich führe diese Tests als zweiten Schritt aus.
Mein erster Schritt wird immer die Suche nach
sichtbaren Veränderungen an den Geweben sein: Gesichtsformen, wie erwähnt,
Lippenbogenform,
Zungenstruktur, Form des
Gaumens und der Zahnbögen und
natürlich beobachtbare Funktionen wie Lautbildung, Atmung, Mundhaltung und
alle Arten erkennbarer Habits und damit einhergehender Markierungen. Ein
unbalancierter antagonistischer Muskeldruck zum Beispiel wie in dem
erwähnten äusseren und inneren Muskelsystem der Mundhöhle wird eine Dislocierung von Hartgeweben wie
Knochen und Zähnen in der für die
Kieferorthopädie so charakteristischen Weise von
Zahnkippungen mit sich bringen; Folgen von
nicht ausgewogener Muskelkraft haben eine fortschreitende Desorganisation
zur Folge, was dann zu weiteren Deformationen führt.
Es wurde das
Kugelschalenmodell für den
Gesichtsschädel erwähnt mit seiner inneren Muskelkugel und der äusseren
Muskelhülle, die ausbalanciert das dazwischenliegende Hartgewebe so lange in
einer indifferenten Position halten, wie die Muskelkraft ausbalanciert ist –
ähnlich dem Zünglein an der Waage.
Verlassen wir dies Thema und kehren zurück zum Aufbau
einer Therapie.
Das ist, wie gesagt, eine wichtige Aufgabe zum Beispiel für den Trainer
im Sport: Die Methodologie des Zusammenstellens von Muskelübungen zu
tauglichen Trainingseinheiten. Wie sehe oder verwende ich den Gehalt einer
Übung, dynamisch, statisch, stärkend, relaxierend. Wie kombiniere ich
Übungen zu
einer Sitzung so, dass sie in der spezifischen Kombination noch effizienter
werden, indem sie sich gegenseitig unterstützen.
Das erinnert an die Physiotherapie, Fitnesstraining. Was mich
wiederum daran erinnert, dass ich von dem interessanten neuen Messgerät
berichten will, dass zuvor erwähnt wurde. Wir diskutierten darüber auf einem
der Treffen des CCMF in Deutschland. (Um es einzuflechten: Wir mussten
unseren Arbeitskreis für Myofunktionelle Therapie damals aus administrativen
Gründen auflösen. Der ‚Rest’ oder harte Kern einigte sich auf die Gründung
einer Art wissenschaftlichen Webkompanie, dem CCMF. Kompetenzzirkel Cervico
Craniale Myo Funktion – besuchen Sie uns im Internet (www.ccmf.de
).
Aber zurück zur erwähnten Physiotherapie oder dem Fitnesstraining:
Sie kennen diese Geräte in den Fitness-Studios, die uns dabei behilflich
sind, unsere Muskeln in Form zu bringen oder die alten Gelenke in Bewegung
zu halten.
Mein Kollege Klaus Berndsen hat ein Gerät vorgestellt, das die Therapie
verkürzen und effizienter machen sollen indem er eine Apparatur einsetzt,
die den alleinigen Zweck hat, unsere Muskelfunktionsübungen effektiver zu
gestalten. Zu weiteren Details darüber siehe die Website
www.ccmf.de oder seine Website
http://www.isst-unna.de,
Stichwort Faceformer.
Wenn man über die Erfolge liest, die er mit dieser
Vorrichtung erzielt , fühlt man sich veranlasst den Hintergrund dafür zu
analysieren, wieso dieses Verfahren wirkt. Es gibt eine ziemliche Menge
Vorschläge für den Gebrauch von Geräten für das Bekämpfen von Knirschen,
Schnarchen, Mundatmen, nicht atmen bei Nacht, Zungenfehlhaltung und alle
diese Dinge, die unser Muskelfunktion abhängiges Leben so schwierig oder
auch interessant machen. Um eine genaue Definition von meinen Prämissen zu
geben:
Brauchbare Vorrichtungen für unser Trainingskonzept:
- sollten gewünschte physiologische Aktionen unterstützen,
- sollten sich im Physiologischen Rahmen bewegen.
Nehmen wir eine Schnarchhilfe als Beispiel. Das Gerät ist aus Kunststoff
in der üblichen Hufeisenform. Es ähnelt dem Zahnschutz eines Boxers (wo es
wirklich Sinn macht – abgesehen von der Tatsache, dass es für mich nicht so
arg viel Sinn macht, jemandem auf den Kiefer zu hauen). Ganz ähnliche Geräte
sind bekannt als Schienen zur Zahnstabilisierung, besonders bei Leuten, die
ihre Zähne durch Knirschen und Bruxen verlieren. Solche Geräte können bis
zu einem gewissen Grade nützlich sein, wenn sie in der richtigen Weise
konstruiert worden sind, um sich der neuromuskulären Performance von Kiefer-
und Gelenkbewegungen anzupassen. (Siehe Paper "Die Temporomandibulargelenke
im Formenkreis der rheumatischen Erkrankungen" zum Symposion an der
Rheumaklinik in Garmisch-Partenkirchen im Januar 2011)
Stattdessen sind sie oft so konstruiert,
dass sie den Kiefer vorwärtszwingen, indem sie den mandibulären Zahnbogen
frontal zu seiner natürlichen Intercuspidation positionieren. Nach einer
längeren Anwendung beobachtet man ein Rückwärtsweichen des
Unterkieferknochens während der Zahnbogen in der unnatürlichen und nicht
intercuspidierenden rostralen Position gefangen ist. Das resultiert sodann in
einer permanenten Verschiebung der Zähne im Knochenbett, mit vielen
Schwierigkeiten beim Kauen verbunden und gefolgt von Schädigungen in den
Muskeln, den Gelenken und natürlich im Parodont der Zähne. Eines ist
ausschlaggebend für alle Gerätschaften, die in neuromuskuläre Prozesse
eingreifen:
Sie sollten nie etwas mit Gewalt stoppen, verhindern oder unterdrücken,
weil dies unphysiologische Reaktionen, Gefühle, Bewegungen und nicht
zuletzt Gewebeveränderungen bedingt.
Unsere Systeme können sich Umweltanforderungen in einem
erstaunlichen Grad anpassen, innerhalb ihres physiologischen, ‚normalen’
Funktionsspektrums. Normale Funktion müsste man dann definieren als:
Den gewünschten Effekt erzielen mit
- optimalem Resultat
- unter minimalem Stress.
Andererseits, gezwungen, den gewünschten Effekt unter unphysiologischen
Bedingungen zu erzeugen, zum Beispiel beim Überwinden einer
Gewebeveränderung, arbeiten unter einem überspannten Muskeltonus oder unter
irgendeinem 'komischen Gerät' wird zu weiterer Schädigung innerhalb des
Systems und seiner Umgebung führen.
Die Gerätschaft soll für das System Hilfsmassnahme sein, nicht
Zwangsmassnahme.
Ausserdem, meist wird der therapeutische Erfolg dann nicht stabil sein,
nachdem das Gerät abgesetzt worden ist. Wenn wir uns dazu entschliessen,
irgendwelche Gerätschaften einzusetzen, sollten wir die Pro’s und Kontra’s
sorgfältig abwägen.
Versuchen Sie einmal, meinen Gedankengängen zu folgen: Das Ding, über das
wir gesprochen haben, die – sie kann in der Tat Leuten in
chaotischen Situationen helfen, wenn sie dabei sind, sich die Zähne
rauszuknirschen, sich dessen bewusst, aber unfähig es zu lassen. Bevor man
ihnen irgendeine geeignete Methode von myofunktionellem und mentalem
Training beibringen kann, muss unmittelbar geholfen werden. Also, was
geschieht just in dem Moment, in dem wir die Schiene in den Mund einsetzen?
Vorausgesetzt, dass wir versucht haben, jeden möglichen gnathologischen/
myofunktionellen Aspekt bei der Konstruktion zu berücksichtigen -
Das Positive zuerst:
Es existiert bei dem Ganzen ein mentaler Zugang. Der Patient setzt die
Schiene in den Mund, bewusst, dass das gut für ihn ist und ihn aufhören
lässt, mit den Zähnen zu knirschen.
Das wird für ihn von einigem mentalem Wert sein. Der zweite Aspekt ist
rein gnathologischer Natur. Wenn die Schiene richtig konstruiert ist, bietet
sie eine Front- Eckzahnführung, was bedeutet, das mittels der Sensorzellen in den
Eckzähnen (Mechanotransduction) der selbststeuernde neuromuskuläre
Regelkreis, ein Feed-back Kreis aktiviert wird. Mir kam es bei Eingliederung so vor, als wenn
man einen Schalter umlegt und die Kontrollfunktion anfängt zu arbeiten.
Das dritte Positive könnte man mehr oder weniger
vernachlässigen, es bezieht sich auf die rein mechanische Funktion des
Reibens der Zähne aufeinander. Mittels der Schiene können sie sich
gegenseitig stabilisieren, und der Abrieb ist auf den Kunststoff beschränkt.
Der negative Aspekt bezieht sich auf die logische, die
physiologische Reaktion des Steuerzentrums. Man tut etwas in den Mund – die
Information wird nach oben übermittelt zum Kauzentrum und sofort beantwortet
mit dem Befehl ‚Kauen’!
Genau das wollten wir eigentlich verhindern. Auf diese Weise ist die
Schiene für uns in myofunktioneller Hinsicht kontraproduktiv.
Der zweite Grund für Kontraproduktivität ist auch von unserer Warte aus
gesehen:
Es gibt keinen erzieherischen oder Trainingswert bei der Methode. Das
ganze ist eine Krücke und nur eine Krücke.
Ist eine Krücke eine Therapie?
Zurück zu meiner anfänglichen Bemerkung über Geräte für unsere
therapeutischen Bemühungen. Sie können tatsächlich nützlich sein, wenn sie
Ihren sorgfältigen und systematischen Nachforschungen nach allen denkbaren
Effekten standhalten.
Prinzipiell, was für die eine Störung hilfreich ist, muss nicht unbedingt
für alles hilfreich sein. Man denke an den kleinen Gummiring. Berühmt und
bekannt als die Myofunktionelle Therapie. In bestimmten Fällen kann der Ring
tatsächlich nützen.
Das bringt uns auf einen anderen Gesichtspunkt: Der Masterplan für ein
physiologisch arbeitendes System lautet:
Erziele den gewünschten Effekt mit einem optimalen Resultat unter
minimalem Systemstress.
Jede Aktion für die ein System nicht ausgelegt ist, lädt entschiedenen
Stress auf seine Komponenten mit der Folge einer Schädigung.
Wenn wir also ein ausreichendes Resultat erzielen, sollten wir die Augen
nicht vor der Frage verschliessen, ob das Resultat von einem physiologisch
arbeitenden System generiert wurde oder etwa durch eine Notfallprozess,
vorgegeben, um die Gesundheit kurz zwischenzeitlich zu garantieren nach den
Regeln einer Adaptation. Bezüglich der ‚Hardware’ gilt für die Gewebe in
einem Regelkreis eines operativen Systems: Adaptieren bedeutet nicht
umwandeln. Wenn das System aus sich heraus adaptiert, so bleibt die Sequenz
der Prozess-Schritte die gleiche. Die Intensität mag verändert sein, um
bezüglich des Resultates den veränderten Anforderungen nachzukommen.
Adaptation an einen veränderten Aktivitätsgrad muss nicht zwangläufig die
negative Veränderung an Geweben zu Folge haben. Allerdings tut es das doch
sehr häufig – man denke an den alternden Leistungssportler oder an den
Tennisarm – myogelotische Veränderungen in den Muskelfasern und Entzündungen
in den Gelenken durch einen langandauernden Muskelhypertonus. Natürlich
findet man das auch im Kausystem, den Zungenmuskeln, in jedem Teil des
orofacialen Systems. Man denke nur an die Prominenten mit ihren chirurgisch
korrigierten Puppengesichtern die versuchen, Gewebeveränderungen in Form von
Faltenbildung zu vermeiden indem sie sich die entsprechenden Hautmuskeln
durch Bototox-Injektionen paralysieren lassen. (Es wäre eine lohnende
Aufgabe, diesen Menschen beizubringen, besser nicht ihre Muskulatur zu
missbrauchen – ein spezielles Kapitel (‘MOI’)
der Übungssammlung auf unserer Website
behandelt die Probleme von Gesichtern bei alten Leuten.)
Um auf unser Problem zurückzukommen: Adaptation ist bei weitem nicht so
schädlich. Was wirklich schädigt ist die Konversion, die Umwandlung der
Gewebe eines neuromuskulären Systems.
So etwas findet sich im gesamten Organismus. Meist rührt das von
Verletzungen her.
Ein Glied in der Aktionskette wurde geschädigt oder zerstört. Nun muss
das System die Aktion ohne dieses Glied arrangieren. Das Resultat wird in
den meisten Fällen recht unvollkommen und inkompetent sein, während die
restlichen aktiven respektive überaktiven Kettenglieder mit der Zeit
schweren Schaden nehmen.
Was uns die Natur in diesem Fall lehrt ist, dass unser therapeutische
Vorgehen sich in das Schema einfügen soll, nicht über das Schema bestimmen.
Wir wollen uns hier und für jetzt zufrieden geben mit
den drei erwähnten Themen, genetische Schlüsselrolle, funktioneller
Hintergrund, therapeutisches Handwerkszeug.
Das erste, die genetische Prägungen haben wir bereits diskutiert.
Muskulatur dominiert den Knochen, sie hat ihn entwickelt, geschaffen.
Das ist eine fundamentale Tatsache seit alters her und gilt bis heute.
Wenn also eine fehlgeformte Knochenstruktur vorliegt, so sollten wir uns
darüber klar werden, welcher Muskel in dieser Region wie funktioniert
respektive fehlfunktioniert.
Die kleine Geschichte über die Evolution weist jedoch noch auf eine
andere Tatsache hin.
Die meisten Muskeln, mit denen wir uns auf unserem Gebiet beschäftigen
haben ihre Charakteristika aus den alten Mustern entwickelt, wie zum
Beispiel die Peristaltikbewegung der Muskelröhre, dem Wurm und hauptsächlich
aus dem lebenserhaltenden Grund der Nahrungsaufnahme, der Verdauung und dem
Erjagen. (Physiologische Grundbedingung! Leben erhalten!)
Und:
Die Gesichtsmuskulatur hat sich differenziert aus einer
Muskelschicht (Anatomie). Denken wir an das Wurmstadium mit einer inneren und einer äusseren Schicht. Auch recht weit entwickelte Säugetierembryos, wie beim
Menschen, weisen anfangs noch die eine einheitliche Muskelschicht der
Gesichtsmuskulatur auf. Wenn man diese Tatsachen ‚im Hinterkopf’ hat, so
wird und soll das unweigerlich die Anamnese und Diagnose beeinflussen. Das
ist nicht auf die erwähnten Gebiete begrenzt. Berücksichtigt man die Genese
eines Körperteils, so werden bezüglich der genetischen Vorgaben bestimmte
Abläufe vitaler Reaktionen per se ein- beziehungsweise ausgeschlossen.
Bezüglich unserer Beispiele: Habe ich die Peristaltik des Muskelschlauches
der Wurmphase vor Augen, werden sich die einzelnen Schritte der
Schluckreflexkette von selbst erklären. (Habe ich das Amphioxusstadium
respektive den Entwicklungsschritt mit den Kiemenbögen im Sinn, so frage ich
nicht, wieso der Luftröhrenzugang vor dem der Speiseröhre liegt. Die Kiemen
sind unten, wo das (Atem-)Wasser abfliesst. Die ausgefilterte Nahrung geht
geradeaus weiter!)
Und genau so erklärt sich auch die Entwicklungsphase
der beschriebenen Muskelschicht bei ihrer Differenzierung in mal mehr, mal
weniger ausgeprägte einzelne Muskelzüge in der Orofacialmuskulatur. Daraus
leitet sich ab, dass manche Menschen ganz einfach nicht die verschiedenen
nebeneinander liegenden Muskelzüge getrennt bewegen können, weil diese
einfach nicht individuell in einzelne Züge ausdifferenziert sind. Und
trotzdem müssen wir eine akzeptable Lösung finden, wie wir für befriedigende
neuromuskuläre Aktionen und Resultate sorgen können.
Unser Thema 2:
Das Layout des funktionellen Hintergrundes.
Unsere Erfahrungen mit der Entwicklungsgeschichte
vermitteln uns, dass wir in vielen Fällen einen ,historischen’
selbstregulierenden Mechanismus, einen Feed-back Kreis mit einer ‚short-cut’
(verkürzt automatisiert) Reaktion vor uns haben:
Steuerzentrum – efferente
Nervbahn – Nervende am Muskel (dem sichtbar arbeitenden Anteil) –
Rezeptorzelle in diesem (registriert Zustand und meldet ihn zum Zentrum) –
afferente Nervbahn – Steuerzentrum.
Ein sehr interessantes Detail mit dem dieser Reaktionskreis läuft, ein
biomechanisches Prinzip: Alles hängt ab von der Mechanotransduktion.
Wenn die Rezeptorzellen unter irgendeinen mechanischen Druck geraten, so
wandeln sie diesen um in elektrische Impulse, die dann an das Steuerzentrum
übertragen werden können.
Denken wir uns nun um diesen Schaltkreis einen Rahmen, einen 'Grünen
Rahmen'. Er soll für uns von besondertem Interesse sein. Er steht für den
‚Physiologischen Rahmen’ (physiologisch bedeutet lebenserhaltend, wie wir
bereits definiert haben) in dessen Grenzen das System funktioniert oder
funktionieren soll indem es alle die integrierten Qualitäten (oder
Rahmenbedingungen) zur Geltung kommen lässt.
Wir können uns das Ganze als ein Mosaikbild oder Pussel vorstellen (jig-saw
puzzle), bei dem jedes Einzelteil für eine der
Qualitäten eines neuromuskulären Systems steht, die unverzichtbaren
‚Zutaten’ die sein korrektes Funktionieren und somit den lebenserhaltenden
Effekt ermöglichen, da eben das ja die Bestimmung eines Systems im
Organismus ist:
physiologisch = lebenserhaltend.
Das Pusselbild
Worum handelt es sich bei diesen Qualitäten?
ORIENTIERUNG
SENSIBILITÄT
MOBILITÄT
MOTILITÄT
TONUS
KOORDINATION
HABITUALISIERUNG
Sie sind hier in einer bestimmten Reihenfolge
aufgelistet, gesehen vom Standpunkt des Therapeuten. Nehmen wir ein Beispiel
aus der Zahnmedizin.
Wir sind heute, wie erwähnt, mehr und mehr beschäftigt
mit der Stresskrankheit Kieferpressen und zwar in seinen vielfältigsten
Formen. Wenn ich nun beabsichtige, irgendetwas zu verändern, dann muss ich
natürlich uns beide, Patient und Therapeut, durch die, wie anfangs erwähnt,
vorbereitenden Massnahmen zur Mitarbeit dirigieren, zur:
‚Compliance’=
Erkenne die Notwendigkeit zu Veränderungen;
-
bemerke den Fehler
-
hab den Willen zur Veränderung
-
sei bereit zur Mitarbeit.
Ein interessantes Thema. Es hat mich dazu gebracht,
mein erstes Buch zu schreiben und zu malen, ein, wie man heute sagt, 'Workbook' mit Anweisungskarten für Kinder,
genannt ‚Zungenkämpfer’ mit dem ich versuche, den Patienten das Gefühl zu geben,
sie seien Sportler in einem Wettkampf – das soll hier aber nicht unser Thema
sein.
Für uns stellt sich die Frage nach dem besten Start.
Erzähle ich einem Patienten, dass er mit den Zähnen knirscht, so werde ich
in 99% der Fälle einen mitleidigen Blick ernten. Sie bemerken das nicht! Das
System hat mit der Zeit tausendfache Warnsignale über das Feed-back
erhalten. Das Unterbewusstsein hat daraufhin in einer Art Überlauf-Reaktion schliesslich
alle Signale übergangen. Danach hat das System die Sensibilitätsschwelle
angehoben. Funktionalität ist nun nicht mehr garantiert, Sensibilität
schützt die Komponenten nicht länger: Hypo-Sensibilität.
Aus diesem Grunde
ist es eine fundamentale Aufgabe, als ersten Schritt das Fühlen zu befunden
und zu re-etablieren, die Sensibilität.
Das ist der erste Schritt sowohl in der Diagnose, als auch in der
Therapie.
Wenn das System lernt, wiedererlernt das Ablaufen einer Aktion zu
registrieren, sowohl innerhalb, als auch was den Effekt angeht, so ist die
Basis dafür geschaffen, die ‚richtige Grösse des Mosaiksteinchens für ein
funktionierendes Pusselbild innerhalb seines
Grünen
Rahmens der physiologischen Funktion zu arrangieren’.
Wir können dann der Reihe nach mit den weiteren Qualitäten fortfahren, die
entweder in den Rahmen passen, oder nicht. Im Bildvergleich kann man die
Sieben Qualitäten als eine Kette ansehen. Eine Kette ist beschädigt, wenn
möglicherweise nur eines der Glieder gebrochen ist. Was wir nun tun müssen
ist, jedes einzelne Glied testen, um den Fehler zu lokalisieren.
Beim nächsten Glied (Qualität) der Kette, sollen wir jetzt
dem Patienten ermöglichen nicht nur zu fühlen, ob, sondern auch ‚wo’. Mit
unserem Beispiel vom Knirscher: „Ist mein Mund fest geschlossen oder locker
hängend?“ Das bedeutet:
Orientierung, zu wissen, in welcher Position sich das System lokalisiert.
Der Leser
wird bemerkt haben, dass unsere Kriterien nicht nur für die orofaciale
Region zutreffen, sondern tatsächlich für jedwedes neuromuskuläre System im
ganzen Körper. Nehmen wir als Beispiel die
Zwischenwirbelscheiben-Erkrankungen. Versuchen Sie, dem Patienten klar zu
machen, dass er andauernd in einer verkehrten Haltung geht, sitzt, schläft,
was asymmetrische Muskelverkrampfungen triggert und so eine skelettale
Distorsion verursacht, die die Bandscheiben ungleichmässig komprimiert. Oder, nehmen wir
die gewohnheitsmässig leicht angehobene Haltung des Armes, die zu einer sehr
sportlichen Erkrankung führt, dem Tennisarm. Der Übeltäter bemerkt selbst
diese falsche Position gar nicht, er merkt nicht einmal irgendeine Position!
(Es sei denn, er lenkt seine ganze Aufmerksamkeit auf den bestimmten
Körperteil.)
Es wird also unsere nächste Aufgabe sein, dem Patienten ein
Gefühl dafür zu vermitteln, in welcher Stellung sich der entsprechende
Körperteil gerade befindet, oder, genauer gesagt, wenn sich etwas in einer
falschen Position befindet. Was den Arm betrifft, dürfte das nicht so schwer
sein. Es ist auch noch weniger schwierig bei den äusseren Gesichtsmuskeln.
Aus diesem Grund arbeiten wir ja meist mit dem Handspiegel. Die optische
Kontrolle. Mit der inneren Muskulatur wird es schon schwieriger, wie bei der
stomatognathen/ orofacialen, die sich ja zumeist dem Einblick entzieht. Da
wir nun aber wirklich Übungen für fast jeden Fall zur Verfügung haben,
wollen wir annehmen, dass wir es ermöglichen, den speziellen Körperteil, an
dem wir arbeiten zu spüren. Als Nächstes werden wir dann die Möglichkeit
eröffnen, den Teil in Relation zur seiner Umgebung zu erspüren, ihn zu
orientieren.
Da alle zuvor erwähnten Qualitäten eines physiologischen Prozesses (der
Grüne Rahmen) eng miteinander verknüpft sind, kann man sie zwar sehr wohl
getrennt diskutieren, aber keinesfalls getrennt behandeln. Sie sind wie bei
einem Pusselbild miteinander verschränkt. In der Natur existiert keine
Abgrenzung zwischen Sensibilität und Orientierung, das eine hängt vom
anderen ab, ebenso wie unsere Übungen dafür. Es sei hier eingefügt, das die
Reihenfolge in der Aufzählung der Qualitäten nicht willkürlich gewählt ist.
Jede von ihnen funktioniert nicht ohne die in der Liste davor angegebene.
Man kann beispielsweise eine Extremität nicht in eine angepasste Haltung
bringen ohne sie zu fühlen. Und ohne Orientierung ist wiederum eine
angemessene Mobilität nicht denkbar. Sie gehorcht den Gesetzen der
Orientierung – wenn sie kann! Und das ist das Problem, mit dem unsere
nächste Aufgaben beginnen. Zur Definition soll hier der Unterschied zwischen den
beiden folgenden Begriffen erläutert werden. Mo’t’ilität – mit dem T in der
Mitte unterscheidet sich, wie wir sehen werden ganz entschieden von der
Mo’b’ilität mit dem B, womit die Fähigkeit des neuromuskulären Systems
beschrieben wird, sich zu bewegen, innerhalb seiner physiologischen Grenzen.
Sein Bewegungsvermögen. Wenn es die Grenzen seines ‚Grünen Rahmens’ nicht
einhalten kann, wenn es hyper- oder hypo- funktioniert, so ist das ein Fall
für uns. Möglicherweise ist die Bewegbarkeit eingeschränkt durch eine
Gewebeblockade oder es ist im Gegenteil überstreckt. Beide Sachverhalte
verlangen unsere Schulung, primär, um die Bewegung innerhalb der
vorgeschriebenen Grenzen zu organisieren und in der Folge, um die
Gewebekomponente zu reorganisieren. Das alles, um der Bewegung die richtige
Form zu geben.
Als Nächstes ist dann ein korrekter Ablauf der Bewegung gefordert. Das
bringt uns dann auf die bereits erwähnte Qualität der Mo’t’ilität, die
Performance.
Wenn ein neuromuskuläres System bewegbar ist, mobil, schliesst das nicht
per se ein, dass es sich überhaupt bewegt. Oder auch die Art der Bewegung,
häufig oder wenig, flüssig oder ruckartig, kräftig oder schwach; das alles
hängt hauptsächlich ab von der Steuersoftware (während es bei der Mobilität
eher abhängig ist von der Konstruktion der Hardware).
Diese Tatsache bringt uns direkt zur nächsten Qualität in der Aufzählung,
dem Tonus.
Tonus hängt hauptsächlich ab vom Muskeltonus, der seinerseits wiederum
abhängt von der Tonizität des neuralen Systems.
Unter Stress neigen Muskeln zum Verkrampfen.
Wenn wir uns im Rahmen der Motilität beim Lernen stützen auf ein
präzises, wiederholendes Üben einer grenzbereich-kontrollierten Muskelaktion
mit adaequater Ausführung (Frequenz und Fluss der Bewegung), so werden die
therapeutischen Effekte auf die Muskel-Nerv-Aktion letztlich auch die
Zielrichtung auf die Tonizität, den Tonus der Bewegung haben, die grundlegende Kraft. Es handelt sich hier um einen mentalen Prozess der eng
gekoppelt ist an Übungen mit der Ausführung streng kontrollierter Bewegungen
während der Behandlung, wodurch ein nächster Effekt involviert wird,
die
Koordination von Agonist und Antagonist während der Aktion.
Hierbei ist es wichtig, dass diese Bewegung äusserst bewusst ausgeführt wird.
Natürlich kann man vom Patienten nicht verlangen, dass er von just dem
Augenblick an, wo wir beginnen, ihn die korrekten Bewegungsabläufe zu
lehren, wie beispielsweise das Schlucken, dass er dann für jetzt und immer
diese Bewegung unter vollbewusster Kontrolle ausführen wird.
Man denke nur an den Zustand des entsprechenden Systems während der
Schlafphase. Daher ist es unsere letzte aber nicht geringste Aufgabe, das
Bewegungsschema mit der ganzen Liste der aufgezählten Qualitäten in sein
Unterbewusstsein zu verankern. Meiner Meinung nach der schwierigste Teil des
Spiels.
Aus diesem Blickwinkel können wir feststellen, dass in der
Reihenfolge der Qualitäten, wie wir sie aneinandergereiht haben die nächste
einen immer höheren Schwierigkeitsgrad verspricht. Darin liegt der Grund,
warum ich nicht die „aus dem Bauch heraus“-Methode anwende. Für mich werden
Schwierigkeiten besser beherrschbar, wenn man sie unter eine strikte
Kontrolle bringt – durch ausreichende Planung des Vorgehens. In unserem
Metier heisst Planung vor allem:
Was ist der Zweck. Wir können nicht von Anfang an annehmen, dass alle
genannten Qualitäten des Physiologischen Rahmens gestört sind. Daher
brauchen wir einen Screening Test um den Schadensumfang zu ermitteln, das,
wie wir oben festgestellt haben, gebrochene Glied in der Kette.
Wie zu Beginn erwähnt, die Abfolge der Qualitäten passt nicht nur auf das
Therapie-Management, sie gibt uns auch die Abfolge der Tests für die
Untersuchung.
Und, wie auch schon öfter erwähnt, wir haben so viele Myofunktionelle
Übungen zur Verfügung, dass es nicht schwer fällt, eine gut geeignete für
jede zu testende Qualität zu finden, und, dass ich mit den "Diagnostischen
Übungen" eine Methode, ein Schema entwickelt habe, das auf dieser Website über
dieses Link: [DIAGNOSTIC EXERCISES/myonet]
zugänglich ist.
Wenn man sich und den Patienten erfolgreich durch alle
29 Testübungen gearbeitet hat, so ergeben die Notizen ein recht akkurates
Bild vom Zustand des untersuchten Systems, und wo es seine Schwachstellen
hat. Und das wiederum ergibt einen verlässlichen Hinweis darauf, wie die
Therapieplanung aussehen sollte.
Das nun bringt mich wiederum auf meine Bemerkung, dass ich nicht viel
von berühmten Therapiemethoden nach Doktor XY halte. Wenn man ein orofaciales Problem auf die geschilderte Weise angeht, dann ergibt sich eine
Methode, Ihre Methode, und die speziell für eben diesen Patienten
massgeschneiderte. Die XY-Methode ist für den Therapeuten einfach zu
verordnen, weil sie ein vereinfachtes Allroundprogramm bietet und die
Verantwortung auf den XY delegiert. Sicher ist sie nicht. Sicher ist, die
Therapie auf den Patienten masszuschneidern, aus einer Übungssammlung oder
aus der von dieser
Website.
Die Übungen auf dieser Website entstammen zum grössten Teil aus dem Buch:
Thiele,E.: Myofunktionelle Therapie, Katalog der Übungen zur
neuromotorischen Funktionsregulation, Heidelberg 1997, ISBN 383040185X,
Hüthig Buch Verlag, Band 3.
Hier liegt eine im Detail überarbeitete Version vor, die grösstenteils
bebildert ist. Nach und nach werden diese Bilder auch als Animationen
erscheinen (wie sie schon in den Diagnostischen Übungen und den
Tonometerübungen vorliegen). Hierin liegt dann der folgende Vorteil: Man kann als Therapeut
nicht jede nützliche Übung dadurch demonstrieren, dass man sie selbst in
immer der genau korrekten Weise vormacht, ohne nachbarliche
Muskelbewegungen. Das kann einem die Faustzkizze auf dem Bildschirm in
dieser Sammlung abnehmen. Ausserdem lieben Kinder Bildschirmbilder.
Und zur individuellen Therapie muss der Behandler dann nur die Bilder auf einer Datei
zusammenkopieren und auf eine Diskette brennen, um sie dem Patienten zum
Üben mit nach Hause zu geben.
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